Interviews Bessere Welt auf DV

Bessere Welt auf DV

Am 11. August kam ein ironischer Episoden-Film in die deutschen Kinos, der vollständig auf DV gedreht wurde. slashCAM hatte die Möglichkeit mit einem der Regisseure über die Hintergründe zu sprechen...

// 20:29 Mi, 9. Nov 2005von

Neue Wege zu beschreiten und sich dabei nicht allzu ernst zu nehmen, das ist das Motto des Kinofilms WELTVERBESSERUNGSMASSNAHMEN. Die Berliner Filmemacher und Internetaktivisten Jörn Hintzer und Jakob Hüfner präsentieren semidokumentarisch in acht Episoden neue Lösungsvorschläge und Denkmodelle, welche uns in naher Zukunft begleiten und die Welt somit ein wenig lebenswerter gestalten können. Besonders interessant ist jedoch, dass alle Episoden des Films auf DV gedreht und nachträglich auf 35mm kopiert (gefazt) wurden. slashCAM traf in Berlin einen der beiden Regisseure, Jörn Hintzer und sprach mit Ihm über die Entstehung und Hintergründe dieses außergewöhnlichen Projekts.



slashCAM: Wie kam es eigentlich zu dem Projekt?



Hintzer: Zuerst haben wir im Rahmen eines Projektes mit datenstrudel.de begonnen, einfach einmal kurze Episoden zu dem Thema „Weltverbesserungsmaßnahmen“ auf DV zu drehen. Wir wussten die ganze Zeit über noch gar nicht, was mir mit den einzelnen Episoden eigentlich anstellen sollten. Teilweise versuchten wir, das ganze ans Fernsehen zu verkaufen, dann dachten wir wieder an eine eigene DVD. Schließlich haben wir letzten November ein Einreichformular für die Berlinale aus dem Internet ausgedruckt und mit den geforderten 50 Euro Startgeld einen einen zehnminütigen Trailer abgegeben. Dann kam von der Berlinale das OK, dass der Film im Festival laufen könnte, sofern es überhaupt einen fertigen Kinofilm gäbe...



slashCAM: Und damit habt Ihr es dann auf die Berlinale geschafft?



Hintzer: Ja, aber mit dem OK ging ja alles erst richtig los. Von November bis Januar haben wir dann viel nachgedreht, Testscreenings gemacht und immer wieder umgeschnitten. Schließlich konnten wir tatsächlich eine DVD mit fast 90 Minuten Film einreichen.


Unsere DVD war dann bei der Auswahlkommission unlesbar, weshalb sie sogar noch einmal bei uns nachbohren mussten, ob da noch irgendwann ein Film käme. Wir haben die nächste DVD dann gleich mit einem Player abgegeben. Soviel zur Kompatibilität von DVDs.



slashCAM: Und das war dann der fertige Film, den das Publikum zu sehen bekam?



Hintzer: Die Auswahlkommission hat nur eine halbrohe Fassung gesehen, aber scheinbar hat das genügt um unseren Film aus 250 Einreichungen für das Programm „Perspektive Deutscher Film“ auszuwählen.


Sie haben uns dann ein Fax geschickt, dass wir mit dabei sind, allerdings war unser Fax-Gerät an diesem Tag defekt. Am nächsten Tag kam dann ein Anruf, warum wir uns nicht melden und ob wir uns nicht freuen.



slashCAM: Nach diesen Anlaufschwierigkeiten lief der Film dann aber im Februar tatsächlich?



Hintzer: Ja, und die Berlinale kam uns auch super entgegen, indem sie eine Videoprojektion ermöglichten. Eine gefazte Kopie des Filmes wäre zeitlich und finanziell gar nicht drin gewesen.



slashCAM: Und wie kommt man von der Berlinale in die Kinos?



Hintzer: Auf der Berlinale hat ein Mitarbeiter von Concorde-Filmverleih unseren Film gesehen und kurz darauf kam das Angebot, den Verleih zu übernehmen. Sozusagen gesehen und gekauft.



slashCAM: Das klingt fast wie ein modernes Märchen. Ihr seid mit einem einfachen DV-Film ohne Beziehungen bei der Berlinale gezeigt worden, und habt ohne Probleme einen rennomierten Verleih bekommen.



Hintzer: Das klingt unglaublich, war aber wirklich genau so.



slashCAM: Ein kompletten Spielfilm dreht man nicht gerade mal an einem Nachmittag und Ihr hattet ja kaum Budget. Wie geht man ein solches Projekt eigentlich an?



Hintzer: Hilfreich war natürlich, dass es sich bei Weltverbesserungsmaßnahmen um ein Episoden-Film-Projekt gehandelt hat. Dadurch konnten wir über drei Jahre immer wieder nachdrehen, schneiden, sichten und auch verwerfen. Jede Episode hatte dabei andere Schauspieler, weshalb wir eigentlich „nur“ viele kleine Projekte managen mussten. Das Konzept hat dadurch die ganze Produktion deutlich entspannt.



Ein kleines Team bei der Aufnahme kann, aber muss nicht immer besser sein.
Ein kleines Team bei der Aufnahme kann, aber muss nicht immer besser sein.




slashCAM: Und das ist schon der ganze Trick?



Hintzer: Unsere Erfahrung – auch mit anderen Filmen - hat gezeigt, dass man Projekte bis zu zwei Drehtagen auch gut im kleinen Kreis organisieren kann. Da kann man noch vieles selber machen. Doch schon ab drei Tagen nimmt die Organisation überhand und man braucht gleich einen großen Stab an Menschen wie Aufnahmeleiter und Produktionsleiter, damit der Dreh nicht ins Chaos abgleitet.



Auf der anderen Seite haben wir aber auch gelernt, dass kleine Teams nicht nur Vorteile haben. Als es sich herauskristallisierte, dass es doch ein Kinofilm wird, haben wir dann auch große Teams ausprobiert, frei nach dem Motto: Think Big. Denn gerade ohne Budget kann ein größeres Team Wunder bewirken. Wenn jeder seinen Verantwortungsbereich wie Maske, Ton, Beleuchtung, Catering, etc hat, wirkt sich das erstaunlich auf die Arbeitsmoral aus: Man gibt den Leuten dadurch das Gefühl, bei etwas Großem dabei zu sein. Und letztendlich wird die Sache dadurch natürlich auch größer und professioneller. Das spornt wiederum die Schauspieler an, wenn jeder ihnen zuarbeitet. Berlin hat sich dabei natürlich als vorteilhaft erwiesen, weil man hier viele Leute findet, die sich für eine Sache wie Film begeistern können, ohne gleich große Gagen zu verlangen.



slashCAM: Apropos Gagen. Was hat denn nun die Produktion eigentlich gekostet?



Hintzer: Obwohl kein Schauspieler, Teaemmitglied oder Fahrer Geld bekommen hat, sind trotzdem so an die 80,000 Euro zusammengekommen. Hauptsächlich für Benzin, Handykosten und Catering. Und ganz ehrlich: Gutes Essen ist enorm wichtig. Wenn Menschen schon kostenlos für dich arbeiten, kannst du Ihnen einfach keine kalte Wurstplatte von Aldi vorsetzen.



slashCAM: Kommen wir einmal auf die Technik hinter dem Film zu sprechen. Mit welcher Kamera habt Ihr gearbeitet?



Hintzer: Wir hatten mehrere Kameras im Einsatz, weil wir für jede Episode einen eigenen Look erzeugen wollten. Wir hatten unter anderem die Sony PD150 wegen dem Vollbildmodus, dann eine Canon XL2 wegen dem echten 16:9 und auch noch eine Sony TRV900. Dazu kam noch ein Conrad CCD-Kamera-Modul mit dem wir unter anderem bei der Leihbruder-Episode aus einem Playmobil-Schiff herausgefilmt haben. Solche Aufnahmen bekommt man mit einem normalen DV-Camcorder gar nicht hin, weil der schlichtweg zu groß ist. Was die Farben angeht, hat uns übrigens die Canon XL2 besonders gut gefallen.



Mit einer billigen CCD-Cam von Conrad Elektronik gelangen die Aufnahmen aus einem Playmobil-Schiff.
Mit einer billigen CCD-Cam von Conrad Elektronik gelangen die Aufnahmen aus einem Playmobil-Schiff.


slashCAM: Wo wir gerade bei Farben sind. Worauf muss man achten, wenn man fürs Kino auf DV filmt?



Hintzer: Unser Kameramann wäre hier genau der konträren Ansicht, aber ich bin der festen Überzeugung, dass man eher sehr kontrastarm filmen sollte. Wenn mal etwas auf dem Band schwarz ist, kannst du in der Farbkorrektur keine Details mehr zeigen. Wenn man dagegen kontrastarm filmt, hat man in den Tiefen und natürlich auch den hellen Stellen immer noch etwas Zeichnung und Details. Es macht natürlich nur Sinn, so zu arbeiten, wenn man schon weiss, dass man später eine gute Farbkorrekur zur Verfügung hat. Ohne Farbkorrekur wirkt das ganze zwar erst einmal sehr flau. Wer jedoch anschließend in der Farbkorrektur nicht zu zaghaft vorgeht, kann hier wirklich noch gute Looks erzeugen. Wichtig ist dann nur: Ruhig mutig aufdrehen und sendefähige Farben erstmal vergessen.




slashCAM: Wer wenig Kontrast will, braucht ja dann auch kein aufwändiges Licht, oder?



Hintzer: Natürlich schaut alles gleich super aus, wenn man erst einmal einen 12KW-Strahler hat, der ein Zimmer durch das Fenster beleuchtet, aber solche Lichtaufbauten sind ja meistens im Low-Budget-Bereich unbezahlbar.


Wir haben viel mit Kinoflo´s gearbeitet, weil diese schnell eine gleichmäßige Ausleuchtung ohne viel Aufwand ermöglichen. Da wir , wie erwähnt, keine großen Kontraste wollten, reichte dies meistens auch völlig aus. Außerdem war es uns besonders wichtig, dass wir mit einer Lichteinstellung aus vielen verschiedenen Perspektiven filmen konnten. Bei unserer Arbeitsweise wäre ein ständiges Neusetzen des Lichtes unmöglich gewesen.




"Freie" Lichtsetzung und gute Ausstattung sorgen für die glaubhafte Athmosphäre.
„Freie“ Lichtsetzung und gute Ausstattung sorgen für die glaubhafte Athmosphäre.




slashCAM: Was bedeutet „bei unserer Arbeitsweise“?



Hintzer: Die Schauspieler müssen sich frei bewegen können. Und auch wir wollen an der Kamera nicht eingeschränkt sein. Improvisation ist sicherlich ein wichtiges Element dieses Filmes gewesen. Ich denke, dass Wiederholung Gift für einen Schauspieler ist. Eine Szene wird meistens nur schlechter, wenn man sie mehrmals hintereinander ohne Veränderung dreht. Wir haben daher die Schauspieler durchaus etwas gefordert und beispielsweise auch die Anweisungen spontan geändert. Genauso haben wir die Schauspieler immer lange spielen lassen, uns dann herausgepickt, was uns besonders gut gefallen hat. Wir haben auch immer wieder ein paar Änderungen einfließen lassen und das ganze nochmal aus einer anderen Perspektive gemacht. Das hält eine Szene lebendig. Und das ist natürlich einer der großen Vorteile von DV, weil das Material ja praktisch nichts kostet.



Improvisation mit den Schauspielern hatte oberste Präferenz.
Improvisation mit den Schauspielern hatte oberste Präferenz.



slashCAM: Hast du noch ein paar Tipps für Leute, die ebenfalls ein DV-Kino-Projekt auf die Beine stellen wollen?



Hintzer: Zuallererst sollte man niemals versuchen, das große Hollywood-Kino zu imitieren und so tun, als ob man einen riesen Blockbuster macht. Das geht garantiert in die Hose und wirkt meistens nur peinlich. Auch sollte man das vorhandene Geld nicht größtenteils in Technik, wie teure Kameras und Licht stecken. Viel wichtiger ist die richtige Ausstattung, die damit die Story glaubhaft rüberkommt. Durch die Produktion mit DV kann man an viele Dinge viel „näher“ herangehen, als eine professionelle Videoproduktion. Man kann sich viel mehr erlauben und auch Themen aufgreifen, die für eine kommerzielle Verwertung erst einmal tabu erscheinen.



slashCAM: Wir danken für dieses Gespräch...


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