Authentizität und gefühlte Glaubwürdigkeit
Was macht das mit den Zuschauern -- sie nennen sie Wahrnehmungsamateure, was ich sehr schön finde. Blicken die da noch durch, ist das nicht verwirrend? Hängt vielleicht das, was sich aktuell ein bißchen als Vertrauenskrise in die Medien oder Bilder manifestiert, damit zusammen?
Nun, eine Vertrauenskrise in die Medien, die gibt es ja. Das ist eigentlich ein guter Begriff. Kam man vor 30 Jahren wie ich irgendwo mit einer Fernsehkamera hin, waren die Leute noch fast zu vertrauensselig. Da hat man sich eher gewünscht, daß sie vielleicht mal eine etwas kritischere Haltung haben. Das hat sich ja komplett umgekehrt. Statt dessen hat man das komplette Mißtrauen, nach dem Motto: ist ja eh alles Fake und dann will ich bezahlt werden, oder mich selber spielen, oder Regie führen, und jetzt gibt es noch die Stichworte Fakenews, alternative Informationen und was noch alles so aufkommt.
Es gibt also tatsächlich ein sehr hohes Mißtrauen in die Welt der Dokumentation oder des Dokumentarfilms, was die Frage aufwirft, worum geht es denn am Ende eigentlich noch? Ich würde sagen, darum, so etwas wie eine gefühlte Glaubwürdigkeit herzustellen. Meine These dabei ist, daß das nur gelingt, wenn sich der Autor, Filmemacher, Regisseur, wie auch immer, subjektiv so stark zu erkennen gibt, daß ich einfach weiß, wer steht denn für das, was ich da sehe. Das hat etwas mit einer Haltung zu tun. Eine Radikalisierung der Subjektivität hilft vielleicht eher, um wieder so etwas wie Authentizität herzustellen, und dann ist es vielleicht gar nicht mehr vorrangig, ob man erkennt, in welchem Genre gearbeitet wird, sondern da geht es dann tatsächlich eher um die Glaubwürdigkeit von Emotionen.
Das Gleichgewicht zwischen Information und Emotion scheint mir eher fragil zu sein, und sich offensichtlich auch eher in Richtung Emotion verschoben zu haben.
Das hat natürlich damit zu tun, daß das Fiktionale eher über das Emotionale funktioniert. Wenn du beim Spielfilm den Emotionsstecker nicht reinkriegst, dann schaltet der Zuschauer irgendwann ab. Bei einer Dokumentation könnte man das natürlich noch durch einen Informationsgehalt wettmachen, wenn man sagt, da steht dagegen eine Information. Aber was ist das dann für eine Information? Dieser Begriff neutrale oder objektive Information ist ja eh schwierig.
Vielleicht sollte man eher den Begriff der Sachlichkeit wieder hervorholen.
Es gibt ja die Formen, etwa Dokumentationen, Magazinen, Nachrichtensendungen, die durchaus noch mit diesem Label arbeiten, aber man sieht nicht erst seit Trump Präsident ist, wie schwer es ist, da noch einen Glaubwürdigkeitsfaktor zu erzeugen. Und deswegen glaube ich tatsächlich, daß auch innerhalb der Information die Sachen am besten funktionieren, wo ich spüre, da ist ein Mensch mit Leib und Seele und Gefühlen, der versucht, mich über etwas zu informieren, worüber ich vielleicht nichts weiß.
Ein Beispiel: ich war neulich auf einer Veranstaltung, da war ein Hörfunkjournalist vom SWR, der hatte in Aleppo eine Hörfunkreportage in einem Hotel gemacht, und während er dort war, wurde das Hotel mit Bomben beschossen. Er hat dann ganz subjektiv seine Ängste beschrieben, wobei unter anderem zum Ausdruck kam, daß er sich wünscht, vom syrischen Regime beschützt zu werden. Was völlig irrsinnig ist, weil man ja eigentlich ständig sagt, das syrische Regime, der Diktator muß weg. Er hat sozusagen die Flucht nach vorne ergriffen und ganz angreifbare Gefühle zum Ausdruck gebracht. Das war wahnsinnig berührend und man hat alle Informationen, die damit verbunden waren, abgespeichert, weil man wußte, da ist einer mit verbunden, der aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, sondern sagt, ich bin ein Mensch mit Ängsten, mit einer begrenzten Belastbarkeit, mit Herz und Seele. Und nicht einfach nur jemand, der Informationen ausspuckt.
Man hat in dieser Hinsicht als Dokumentarfilmer viel Verantwortung, seinen Protagonisten, der Realität und seinen Zuschauern gegenüber, Sie beschreiben das ja sehr schön in Ihrem Buch ua. wenn es um den Anspruch der Authentizität geht.
Genau, aber wie kann man dieser Verantwortung noch gerecht werden in einer Zeit, wo das Mißtrauen so groß ist? Ich habe ja immer schon von diesem doppelten, subjektiven Faktor gesprochen, daß es eine Balance ist zwischen dem, was hinter und dem vor der Kamera ist. Also dieses Atmen. Man atmet selbst, läßt aber auch die Welt und die Leute atmen, auf die man trifft, sonst kommt man wieder in eine andere Bredouille. Ich glaube, daß es immer wichtiger wird, diese Balance spürbar zu machen.
Aber kann man das lernen, zum Beispiel bei Ihnen in Ludwigsburg, oder ist das nicht so etwas wie ein Menschenideal – daß man ein guter Mensch sein muß, um ein guter Dokumentarfilmer sein zu können?
Man kann die Studenten an die Themen schon heranführen, indem man mit ihnen darüber spricht, und es ihnen in Filmbeispielen zeigt.
Die richtige Haltung?
Gar nicht die richtige Haltung, sondern daß es einfach überhaupt einer Haltung bedarf. Es kann ja durchaus sein, daß ich mit einer Haltung konfrontiert werde, die mich provoziert, oder die meiner eigenen Haltung konträr entgegen steht. Das ist aber immer noch besser als keine Haltung, weil dann kann ich mich an ihr reiben. Das ist ja der Punkt. Dann kommt wieder eine Form der Glaubwürdigkeit, denn die kann ja auch dadurch entstehen, daß ich etwas ablehne. Dann habe ich die Aufgabenstellung, mir zu überlegen, warum lehne ich das ab, warum mag ich das nicht. Vielleicht kommt man darauf: weil es mich unangenehm berührt und ich mich erstmal dagegen wehre, was aber vielleicht genau der Mehrwert ist. Das schreibe ich ja auch in dem Buch, daß es lange nicht mehr um diese Gefälligkeitsdramaturgie geht, sondern darum, wie man überhaupt etwas in den Leuten in Gang setzt
Insofern haben die Zuschauer auch mehr Verantwortung als früher, weil sie mehr selbst mitdenken und sich kritisch mit dem Gesehenen auseinandersetzen müssen. Aber eigentlich wird man ja eher mit einem hohen Unterhaltungsfaktor konfrontiert im Fernsehen…
Man muß da unterscheiden und vielleicht auch an sich selbst denken. Ich bin ja auch Konsument und ich will manchmal Filme sehen, wo ich mich zurücklehnen kann. Dann schaue ich mir halt so einen Blockbuster an oder einen Tatort, und das schippert so an mir vorbei weil mir grad danach ist, und dann habe ich an einer Unterhaltung teilgenommen, die ihre Aufgabe besser oder schlechter erfüllt. Das ist ok. Aber es braucht natürlich auch die Filme, die Gesellschaft reflektieren. Das ist dann nichts, wo du dich hinsetzt und konsumierst, sondern du mußt mitdenken. Ich will nicht bei jedem Film aktiviert werden, um Gottes willen, aber es muß die Filme geben, die mir sagen: Hallo, hier gibt es ein Thema, setz dich damit auseinander, stell dir mal drei Fragen und versuche, Antworten darauf zu finden.
Gibt es denn noch ein Publikum mit einer solchen Aufmerksamkeitsspanne? Im Internet gibt es ja die Tendenz, bei Artikeln dazuzuschreiben, wieviele Minuten es dauert, sie zu lesen, während man im dokumentarischen Videobereich vor allem kurze, eher stereotypische Videoportraits sieht. Wird das Publikum dadurch nicht verzogen?
Das ist mir alles zu schematisch. Es kann schon sein, daß wir zum Beispiel durch das Fernsehen und Internet weniger Zeit haben als früher, dem Zuschauer seine Rolle klarzumachen, aber die Aufgabenstellung ist trotzdem da. Es gibt Zweiminuten-Beiträge, die schaffen das, und andere schaffen es halt nicht. Es ist meiner Meinung nach weniger eine Frage der Zeit oder der Dauer, sondern es ist die Frage, wie schnell jemand sich und seine Haltung innerhalb seiner Arbeit vermitteln kann. Das kann man auch in zwei Minuten.